Schnee im Juli – die Uraufführung von „Snow“ auf der Loreley.

dsc08531Es passiert relativ selten, dass mich eine Band als Gesamtpaket derartig überzeugt, dass ich ihr das Label „Lieblingsband“ verpassen würde. Zu meinen Teenie-Zeiten wurde diese „Ehre“ vor allem skandinavischen Mainstream-Pop-Exporten der Marke a-ha und Roxette zuteil. Bei der Progressive-Rock-Band „Spock’s Beard“ war ich mir Ende der 90er allerdings sicher: Mehr geht nicht – das Paket aus Ohrwürmern, musikalischem Anspruch, vor Spielfreude strotzenden Live-Auftritten und einem charismatisch-sympathischen Frontmann (Neal Morse) war einmalig. Als diese Band sich dann auch noch an einem Doppel-Konzept-Album im Stile von Pink Floyds „The Wall“ versuchte, erreichte meine Verehrung ein neues Niveau: „Snow“ neigte zwar zum Kitsch und wirkte etwas zusammengeflickschustert – ansonsten aber trafen mich die virtuos eingespielten Morse-Kompositionen voll in Herz und Seele. Fast zeitgleich zur Veröffentlichung der große Schock: In einem Fanforum las man düstere Prophezeiungen der Marke „Etwas Schlimmes ist geschehen und wird zeitnah verkündet“. Auf die Befürchtung folgte schnell Gewissheit: Neal Morse verließ die Band, um sich musikalisch seiner christlichen Bestimmung zuzuwenden. Gott persönlich hatte ihm dabei laut eigener Aussage beim Joggen den Ausstieg nahegelegt.

Eine böse Folge davon: Da eben jener Gott sich wenig um Marketingmaßnahmen, Veröffentlichungszyklen und Booking schert, wurde das besagte Opus Magnum der Band niemals live aufgeführt. Womit ich mich in meinem zwischen Verwirrung und Rest-Euphorie schwankenden Zustand schwerlich abfinden konnte. Aus Trotz entstand der Schwur „Sollte ‚Snow‘ irgendwo in diesem Universum nochmal live aufgeführt werden, bin ich anwesend!“. Die Aussicht auf Realisierung dieses Vorhabens erschien allerdings gering, nicht nur, weil ich in der Zwischenzeit – strategisch höchst unklug! – aus der Kirche ausgetreten war.

Es folgten 13 1/2 Jahre, in denen ein Urwald an Gras über die Sache wuchs. Dann plötzlich, im Frühjahr 2016, die Ankündigung: „Spock’s Beard & Neal Morse spielen ‚Snow‘ in Nashville“! Es war, als würde man einen Kanonenschlag in einen Hühnerstall werfen. Problem: 7259km Luftlinie, für 90 Minuten Musik? Der Schwur hatte mit den Jahren Einiges an Verbindlichkeit eingebüßt – nicht nur, weil Herr Morse sich in der Zwischenzeit zu einem (greisen) Meister der Selbstwiederholung entwickelt hatte.

Glücklicherweise hatten Band und Ex-Mastermind ein Einsehen mit ihren transatlantischen Freunden: Ein zweiter Termin  wurde für Mitte Juli 2016 angekündigt! Auf der traditionsreichen Loreley-Freiluftbühne am Rhein spielte die Ur-Band – ergänzt um diverse, durch Besetzungswechsel dazugekommene, Neu-Mitglieder -das Album „in its entirety“: Ein musikalisch wie emotional bewegender Abend, der einem wunderbaren Album nach 14 Jahren seine verdiente Würdigung verschaffte.

 

Kairos – Ein Experiment in Sachen Musikproduktion

logoKairos ist keine “Band” im eigentlichen Sinne – Kairos ist ein musikalisches Projekt, aber auch ein kleines Experiment.

Es ist heute keine Innovation mehr, Musik im Heimstudio aufzunehmen und über das Internet auszutauschen. Die Frage, die die vier Musiker von Kairos bewegte, war aber die: Kann man damit ein komplettes Album produzieren? Man kann. Und so wurden die Talente, die vorher jahrelang in der Hamburger Bandszene ausgereift wurden (u.a. bei Bands wie Winterhood, caleidoscope, Carolyn), zusammengeworfen. Jeder bringt dabei das ein, was er einbringen kann und will.  Ohne zeitlichen Druck: Denn man soll den Songs anhören, dass sie mit viel Sorgfalt und Liebe zum Detail entstanden sind.

Und wie klingen sie nun, die 10 Stücke des komplett selbstproduzierten Albums “Neuanfang”? Nicht elektronisch und kalt, wie die Umstände ihrer Entstehung es vielleicht vermuten lassen. Gitarrist und Songwriter Florian Rau beschreibt die Musik als “melodisch-melancholischen, deutschsprachigen Pop” – das heißt: Ohrwurm-Melodien, große Refrains, viel Gefühl und eine Prise Drama. Und durchaus auch mal ausgefallene Ideen und Instrumentierungen, wie z.B. die Songs “Wo sich die Wirklichkeit verliert” oder “Barfuß im Regen” zeigen. Textlich bleiben Florian und seine Schwester Ann-Kathrin dabei ihrer Muttersprache treu – ganz einfach, um dem Ausdrucksvermögen keine Grenzen zu setzen. Schließlich geht es um Dinge, die feine Nuancen benötigen, um angemessen beschrieben zu werden: Liebe, Freundschaft, das Verhältnis zu sich selbst – in all ihren hellen und dunklen Schattierungen.

Schaut und hört gern mal rein: KAIROS-Website.

 

„Smalltown boy“ revisited

Jimmy Sommerville ist zwar Brite. Trotzdem hat er vermutlich einen Freudentanz aufgeführt, als der amerikanische „Supreme Court“ am 26.Juni ein historisches Urteil fällte: Die Homo-Ehen-Verbote in immerhin 14 amerikanischen Bundesstaaten wurden für verfassungswidrig – und damit nichtig – erklärt.

Wie es der Zufall so will, trafen Ute „Ootie“ Kreitz und ich uns just an diesem Tag, um ein besonderes Remake von Sommervilles 80er-Überhit „Smalltown Boy“ aufzunehmen: Ganz ohne das pragnante Keyboard-Riff, ganz ohne Drumcomputer, Synthie-Gedudel und sonstige Markenzeichen dieser „Musikepoche“ …. stattdessen: Akustikgitarre und Stimme, ganz pur, live eingespielt.

Und was passiert mit wirklich guten Songs, wenn man sie auf ihre Essenz reduziert? Sie hören nicht auf zu funktionieren und zu faszinieren. Für mein Empfinden werden die Gefühle, die der Text vermitteln will – Ausgrenzung, Nicht-Verstanden-werden -, von Utes Interpretation sogar noch ein gutes Stück direkter transportiert als von der Originalversion. Aber hört selbst – viel Freude dabei!